Reisebericht Myanmar November 2019 von Dr. Thomas Nippraschk zur Thomas Clinic in Kim Lai im Chin Staat

Im November 2019 habe ich mich mit meinem Kollegen, Dr. Alexander Kaspar, in Myanmar aufgehalten, um in der Zeit vom 11. bis 22.11. die Dörfer Kimlai und Dimzaang im Chin-Staat zu besuchen. Wir wollten uns einen Eindruck von der gesundheitlichen Situation der Dorfbevölkerung verschaffen und gleichzeitig während unserer Anwesenheit medizinische Behandlung und Beratung ermöglichen.

Bei unserer Ankunft in Yangon am 09.11. vormittags sind wir freundlicherweise von Frau Hecker empfangen worden, die zwischen einem Seminar und der Begleitung einer Reisegruppe ebenfalls noch vor Ort war. Neben unserer medizinischen Arbeit hatten wir im Anschluss ein paar Tage Urlaub geplant und konnten dankenswerterweise über Frau Hecker und ihre Kontakte zu einem lokalen Reisebüro auch dafür einige interessante Höhepunkte organisieren. Leider musste mein Freund und Kollege aus familiären Krankheitsgründen eher wieder abreisen, aber ich konnte dann noch ein wenig das Land erkunden und in Bagan sowie im Ayeyurwady-Delta unterwegs sein.

Im Vorfeld der Reise gab es bereits regen E-Mail Verkehr bezüglich der medikamentösen Ausstattung für das Thomas Clinic Center in Kimlai und für das zweite Dorf Dimzaang. Über Mr. Pau, der als Kontaktperson der Myanmar Initiative in Kalay und im Chin-Staat arbeitet, konnte eine Liste mit den notwendigen Arzneimitteln erfasst und diese bereits gekauft werden.

Hilfreich war auch der Kontakt zu Dr. Ngin Sian Muang, der als angestellter Arzt im staatlichen Gesundheitswesen in Myanmar in einem kleinen Krankenhaus arbeitet, welches sich an der Ausfahrtstrasse ca. 20 min südöstlich von Kalay in Richtung Mandalay befindet.

Am 10.11. flogen wir weiter nach Kalay und wurden dort am Nachmittag sehr herzlich von Mr. Pau begrüßt. In Kalay waren wir in einem Hotel untergebracht. Schon im Vorfeld der Reise war infolge der aktuellen Gefahrenlage im südlichen Chin-Staat an der Grenze zum Rhakine-Staat die Möglichkeit der Übernachtung in den Dörfern durch die Distrikt-Regierung aus Sicherheitsgründen untersagt worden. Als Folge entstand eine An- und Abreise von insgesamt drei bis dreieinhalb Stunden täglich, um in die Dörfer zu gelangen und vor einbrechender Dunkelheit wieder in der Nähe von Kalay zu sein. Am Tage der Anreise und die gesamte Nacht hindurch hatte es noch massiv geregnet. Dies waren die Ausläufer des abziehenden Zyklons über dem Golf von Bengalen und wir hatten Bedenken, ob eine Passage der Flussläufe zu den Dörfern überhaupt möglich wäre. Glücklicherweise sollte sich zeigen, dass es der letzte Regentag der zu Ende gegangenen Regenzeit sein sollte.

Die tägliche Anfahrt war aber dennoch deutlich angenehmer als bei unserem Besuch vor drei Jahren, da inzwischen mit deutscher Hilfe die Ausfahrtstraße von Kalay in Richtung Norden bis auf wenige Brückenabschnitte neugebaut worden war.

Bei unserem ersten Eintreffen in Kimlai im Thomas Clinic Center sind wir sehr herzlich von den beiden Krankenschwesternhelferinnen Mrs. Tling und Mrs. Kuak sowie Miss Bawi, einer sich eigentlich im Ruhestand befindlichen ausgebildeten Krankenschwester, begrüßt worden. Alle drei werden für ihre Arbeit über die Myanmar Initiative e. V. bezahlt.

Auf dem Hinweg in die Dörfer wurde täglich durch Mr. Pau auf dem Markt in Mang Pha frisches Gemüse, sowie etwas Fisch oder Fleisch besorgt und wir sind von den Schwestern in der Mittagspause sehr gut bekocht worden. Nach unserer Ankunft haben wir zunächst gemeinsam mit den Schwestern die Medikamente gesichtet, aufgeteilt und in die vorgesehenen Medikamentenschränke eingeräumt. Ein Teil wurde für den späteren Gebrauch in Dimzaang wieder verpackt.

Mr. Pau hatte eine Tagesplanung für unsere Anwesenheit in den Dörfern erarbeitet. So waren wir jeweils fünf Tage im Kimlai im Thomas Clinic Center und fünf Tage in Dimzaang zur Sprechstunde und Behandlung. Einen Tag hatte er als „Freizeit“ geplant. An diesem Tag haben wir das lokale, staatlich geführte Krankenhaus auf Einladung von Dr. Muang besucht. Es war für uns ein sehr interessantes Treffen mit vielen neuen Eindrücken.

Danach besuchten wir das noch im Bau befindliche CommunityCenter auf dem Grundstück des Hauses von Mr. Pau. Hier sollen später u.a. Schulungen und Seminare stattfinden.

Das Thomas Clinic Center macht einen gelungenen Eindruck.

Sowohl die räumliche Aufteilung, die Ausstattung und auch die Klimatisierung erscheinen ausreichend und gut durchdacht. Die Belüftung machte sich schon jetzt bei etwas unter 30°C als deutlich angenehm bemerkbar. Es gibt einen Sanitärtrakt mit drei Toiletten und jeweils einem Waschbecken. Zusätzlich befinden sich je ein Waschbecken im Flurbereich und im ärztlichen Untersuchungs- bzw. Behandlungsbereich. Die Küche wird mit Gaskochern betrieben. Die Stromversorgung wird über Solarpanels und einen zusätzlichen dieselbetriebenen Generator gesichert. Ein 140 Meter tief gebohrter Brunnen spendet Wasser. Die Abwasserentsorgung erfolgt in eine separate Grube.

Mit zwei Schränken und Regalen bestehen innen ausreichend Lagerungsmöglichkeiten für Medikamente. Eine Erstausstattung war offenbar schon vorhanden, die im Vorfeld von uns benannten Medikamente wurden von Mr. Pau zusätzlich besorgt, wovon ca. die Hälfte der gekauften Medikamente vorerst mit nach Dimzaang genommen wurde. Hier war ein Großteil der Medikamente bereits über dem Verfallsdatum. Allerdings ist zu befürchten, dass dies auch in Kimlai zum Teil passieren wird. Es ist einfach schwierig vorherzusagen, wie viele Medikamente nach unserer Abfahrt tatsächlich weiter verbraucht werden. Rückblickend scheinen aber bis auf wenige Ausnahmen die Auswahl der benötigten Medikamente und die kalkulierten Mengen auszureichen.

Insgesamt haben wir in den Dörfer nahezu 300 Patienten gesehen und behandelt, wobei einige wenige Patienten zwei Konsultationen hatten, um den Behandlungsverlauf beurteilen zu können. Etwa ein Drittel waren Kinder im Alter von sechs Wochen bis ca. 12 Jahre. Wir haben allerdings weniger akute Erkrankungssituationen gesehen, als wir erwartet hatten. Nach Aussage von Dr. Muang wären jedoch deutlich mehr Akutfälle, inklusive Malaria in der Regenzeit zu erwarten.

Hauptsächliche medizinische Probleme waren chronische Schmerzen des Bewegungsapparates, chronische Atembeschwerden, akute Infektionen der oberen Luftwege, akute und chronische gastrointestinale Beschwerden und Infektionen des Magen-Darm- und auch des Urogenitaltraktes. Bei einem etwa 11-jährigen Jungen vermuteten wir z.B. eine akute Blinddarmentzündung mit klassischen klinischen Verdachtssymptomen, vor allem mit starken Bauchschmerzen. Eine ausschließliche Behandlung im Dorf mussten wir ablehnen und empfahlen die Vorstellung in Kalay im Krankenhaus zur Überwachung und ggf. Operation. Wir boten eine Mitnahme in unserem Jeep an, um den Transport zu erleichtern. Wie wir später hörten, sind die Eltern mit dem Jungen auf dem Moped in Stadt gefahren und haben sich an eine Person mit vermutlich eher zweifelhaften medizinischen Kenntnissen gewandt, möglicherweise ein alter ehemaliger Militärangehöriger.

Es scheint das typische Vorgehen der Dorfbevölkerung bei schwerwiegenderen medizinischen Problemen zu sein, um eine qualifiziertere medizinische Konsultation aus Kostengründen zu unterlassen.

Erstaunlicherweise gab es kaum akute oder chronische Wunden bzw. Verletzungen, die einer chirurgischen Behandlung bedurft hätten.

Einige Patienten wurden mit Bluthochdruck oder auch Diabetes identifiziert, bzw. deren Behandlung optimiert. Bei drei Patienten war sogar eine Zahnextraktion notwendig. Zusätzlich gab es Verdachtsfälle mit Mangelerscheinungen an Vitaminen oder Spurenelementen, was aber ohne weitere diagnostische Möglichkeiten nur ein Verdacht bleiben kann.Die häufigen chronischen Schmerzsymptome v.a. des unteren Rückens, der Schultern und des Nackens bzw. im Halswirbelbereich mit Kopfschmerzen beruhen sicherlich auf der täglichen, körperlich schweren Arbeit, z. B. auf dem Feld oder bei Frauen durch das ständige Tragen der Säuglinge oder Kleinkinder sowie vom Schlafen harten Holzfußböden oder einem Holzbett ohne ausreichende Unterlage. Es werden muskuläre Fehlbelastungen und Haltungsschäden begünstigt. Kinder hatten oft akute Erkältungssymptome mit Fieber, die aber symptomatisch und oft ohne Antibiotika-Gabe behandelt werden konnten. Zusätzlich sahen wir eine ganze Reihe von Atemproblemen in allen Altersgruppen, sicher bedingt durch die chronische Rauchbelastung in den Wohnräumen. In den Häusern wird unter Verwendung von Brennholz über dem offenen Feuer und ohne ausreichenden Rauchabzug täglich mehrfach gekocht. Dies führt zu chronischem Husten, zu asthmaartigen Beschwerden und bei längerer Exposition sowie dem stark verbreiteten Nikotinabusus zur chronischen Schädigung der Lunge (medizinisch: COPD).

Akute und chronische Infektionen des Magen-Darm- und des Urogenitaltraktes werden durch die unzureichenden hygienischen Bedingungen begünstigt. Es ist zu vermuten, dass eine ungenügende Händehygiene nach der Toilettennutzung in Verbindung mit Personenkontakt und Nahrungszubereitung eine Rolle spielt. Gleiches trifft für die Infektionen der Harnwege zu, wobei hier möglicherweise auch eine sexuell bedingte Übertragung stattfindet.

Bestätigt durch Dr. Muang wird unsere Vermutung, dass ein Abusus verschiedenster Substanzen stattfindet. So z.B. von Nikotin inklusive des Kauens von Tabak und Betel, aber auch von Alkohol und Schmerzmitteln, vorrangig Paracetamol, weil es, wie auch Medikamente anderer verschiedenster pharmakologischer Gruppen, preiswert und im Handel einfach zugänglich ist.

Patienten klagen häufig über „Magenschmerzen“, was eine chronische Gastritis vermuten lässt und vielfach ebenfalls durch den beschriebenen Abusus begünstigt wird. Nicht wenige Patienten kommen mit chronischen Beschwerden, die seit Monaten und Jahren bestehen. Es sieht so aus, dass ein Teil der Dorfbevölkerung hier Hilfe von uns erhofft, die Ihnen bisher versagt war, die wir Ihnen aber leider auch jetzt oft nicht geben können.

Darüber hinaus werden unkritisch westeuropäische Ernährungssünden, wie völlig unkontrollierter Zuckerkonsum aus Softdrinks und Süßigkeiten übernommen und gleichzeitig traditionelle Ernährungsweisen aus gekochtem Reis, Gemüse, Früchten und eher wenig Fleisch verlassen.

Zusätzlich scheinen einige Patienten an ausgeprägten depressiven bzw. psychosomatischen Beschwerden zu leiden, was letztlich jedoch nur eine Vermutung bleibt, da die Kommunikation hierzu schwierig und vielleicht eher ungenau ist. Typische Symptome wie Mimik, Kopfschmerzen, Schlafstörungen und Muskelschmerzen sprechen aber dafür.

Über Mr. Pau wurden für das Klinic Center eigene Patientendokumentationshefte gefertigt, die im Zusammenhang mit unseren „Arztsprechstunden“ auch eifrig genutzt werden.

Da wir in unseren Sprechstunden hauptsächlich mit langwieriger Anamnese und Behandlung beschäftigt sind, bleibt leider nahezu keine Zeit für gesundheitliche Ausbildung und Wissensvermittlung.

Die beiden ausgebildeten Schwesternhelferinnen, die über die Myanmar-Initiative bezahlt werden, wirken etwas zurückhaltend im Auftreten. Vermutlich sind jedoch ausreichend Fähigkeiten und Fertigkeiten vorhanden. Es werden problemlos Blutdruck- und Blutzuckermessungen und Inhalationsbehandlungen durchgeführt, Verbände angelegt und Vieles mehr.

Unter Aufsicht erfolgt versiert die Venenpunktion für eine Infusionstherapie. Wir vermuten, dass die Zurückhaltung auch durch unsere Anwesenheit bedingt ist und versuchen eine bessere Akzeptanz der beiden Frauen in der Dorfbevölkerung zu erreichen.

Unsere Kommunikation mit den Patienten erfolgt mit Umschreibungen aus dem Englischen ins Burmesische bzw. in die Sprache der Chin und umgekehrt müssen wir aus dem Chin ins Englische übersetzt bekommen und es uns dann gedanklich in die deutsche Sprache übertragen. Manchmal bleibt eher zu vermuten, um welche Problematik es sich handelt. Um sicher zu gehen, müssen wir mit Umschreibungen noch einmal nachhaken, was dann teilweise einen erheblichen AHA-Effekt des Verstehens mit manchmal auch geänderter Verdachtsdiagnose zur Folge hat.
Wie sich herausstellt, hat die notwendige tägliche An- und Abreise in die Dörfer den Vorteil, dass wir einen Teil der verbrauchten Medikamente in Kalay gleich wieder nachkaufen können. Ebenso einige einfache medizinische Geräte, die nach unseren neu gewonnenen Erfahrungen durch den Aufenthalt in den Dörfern sinnvoll erscheinen: z.B. ein akkubetriebenes Inhalationsgerät und eine Extraktionszange für Zähne. Blutzuckergeräte sind ebenfalls verfügbar, wobei wir darauf hinweisen müssen, dass es bei der Vielzahl der auf dem Markt erhältlichen Geräte sinnvoll wäre, sich möglichst auf ein bis zwei festzulegen und einen größeren Vorrat dazu passender Teststreifen anzuschaffen.

Zusammenfassend konnten wir feststellen, dass die baulichen Voraussetzungen für eine ambulante bzw. basisorientierte medizinische Behandlung mit dem neuen Thomas Clinic Center in Kimlai gut und ausreichend sind. Zugang zu medizinischem Material und Medikamenten ist in Kalay gegeben.

Außerhalb der Regenzeit scheint eine zweimalige ärztliche Sprechstunde pro Monat ausreichend, da in dieser Zeit nicht so viele akute und schwerwiegende Erkrankungssituationen zu erwarten sind. Schwerpunkt bleibt jedoch die Regenzeit mit einer deutlichen Häufung von Infektionserkrankungen, inklusive Malaria. Dr. Muang hat über Mr. Pau anklingen lassen, dass er sich die zweimalige ärztliche Anwesenheit pro Monat in der Gesundheitsstation in Kimlai vorstellen kann, so lange er selbst noch in dem Krankenhaus in Kalay arbeitet.

Es besteht trotzdem die Gefahr, dass in den Zeiträumen zwischen den Arztkonsultationen die medizinische Versorgung der Menschen nicht ausreichend und damit auch die Nutzung der Gebäude nicht ausgelastet ist. Darüber hinaus bleibt das Angebot ärztlicher Behandlung in den Dörfern ungeklärt. Außerdem sollte man überlegen, ob in der Zukunft durch Kooperation mit anderen Hilfsorganisationen eine Möglichkeit für die augenärztliche Durchführung von Katarakt-Operationen (Grauer Star) geschaffen werden kann, da viele ältere Patienten durch die altersbedingte Linsentrübung deutlich an Sehkraft verloren und damit Lebensqualität eingebüßt haben.

In naher Zukunft, insbesondere nach Fertigstellung des Community Centers in Kalay, sollte die gesundheitliche und hygienische Schulung und Ausbildung forciert und deren praktische Umsetzung in den Dörfern befördert werden. Die Myanmar Initiative könnte auch darauf hinwirken, dass das Tätigkeitsfeld der Schwestern hiermit erweitert wird. Für ihre Arbeit und auch die hilfreiche Unterstützung unseres medizinischen Einsatzes in den Dörfern danken wir den drei Frauen sehr herzlich! An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich das große Engagement und die Unterstützung von Mr. Pau für die Vorbereitung und Durchführung unserer Tätigkeit in den Dörfern würdigen und auch ihm ganz persönlich für die sehr herzliche Betreuung während unseres ganzen Aufenthaltes in Kalay und im Chin Staat danken!

Neuruppin, Januar 2020

Dr.Thomas Nippraschk
thm.npk@web.de

Copyright © 2024  |  Impressum  |  Datenschutz