Bericht über das 10. Chaplaincy Seminar mit anschließender Konsultation in Yangon

vom 5. – 11. Mai 2019

Der Bedarf an Ausbildung in modernen Methoden für Beratung und Seelsorge in Myanmar ist immer noch sehr groß. Die Myanmar Initiative trägt dem in vielfältiger Weise Rechnung: Durch Seminare für Frauengruppen, Kurse für Leiterinnen von Waisenhäusern, durch Beteiligung am Training für Mitarbeitende bei der Beratungsstelle im YMCA und vor allem durch die regelmäßigen Chaplaincy Seminare seit zehn Jahren.

Vom 5. – 9. Mai 2019 fand in Yangon, Myanmar das 10. Chaplaincy Seminar statt.

Die Dozentin für Praktische Theologie am Myanmar Institute of Theology (MIT), Dr. Khin Kyu Kyu, reagierte vor neun Jahren auf die Nöte der Pfarrer und Dozenten/innen der Colleges. Sie hatte erkannt, dass die Seelsorgeausbildung an den kirchlichen Ausbildungsstätten nicht mehr ausreichte, um den Anforderungen der umfassenden gesellschaftlichen Veränderungen gerecht zu werden. Sie war in ihrem traditionellen Angebot wenig hilfreich für die Menschen, die unter einer brutalen Militär-diktatur zu leiden hatten und sich anschließend mit den Problemen und Herausforderungen einer sich rapide verändernden Welt konfrontiert sahen. Hinzu kam der Bürgerkrieg in verschiedenen Teilen des Landes, der bis heute andauert und von dem große Teile der Zivilbevölkerung massiv betroffen sind. Der Wunsch nach einer Seelsorgeausbildung, die auf seelische Nöte und Konflikte näher eingeht, war groß.

So begründete Dr. Khin Kyu Kyu das Chaplaincy Seminar in Zusammenarbeit mit MIT, mit ATEM (Association for Theological Education in Myanmar) und der Myanmar Initiative e.V. Es begann 2010. Einmal im Jahr, in der zweiten Maiwoche, treffen sich Vertreter/innen verschiedener Colleges, um anhand unterschiedlicher Themen an Grundsatzfragen von Seelsorge zu arbeiten. Dabei wird ein Akzent auf die Vermittlung psychosozialer und personenzentrierter Methoden gelegt. Das Seminar findet an verschiedenen Orten im Land statt, ist ökumenisch ausgerichtet und ein Angebot für alle theologischen Colleges in Myanmar. Die Teilnehmenden kommen nicht nur aus verschiedenen Konfessionen, sondern auch von verschiedenen Ethnien mit unterschiedlichen Muttersprachen. Die Verständigung untereinander ist in Burmesisch, die Sprache der Konferenz Englisch.

Finanziert werden die Seminare fast ausschließlich von Deutschland, der größte Anteil kommt von der Myanmar Initiative e.V. Die Dringlichkeit einer solchen Förderung ergibt sich auch aus der Tatsache, dass das Angebot an beraterischer und psychotherapeutischer Hilfe in Myanmar verschwindend gering ist.
Ursula Heckers Aufgabe als Vorsitzende war es in Deutschland, Fachkräfte, Supervisorinnen und Supervisoren für die jeweiligen Seminare zu verpflichten, da für die zu vermittelnden Beratungskompetenzen der Seminare erst jetzt allmählich einheimische Fachkräfte gefunden werden können.

Bis vor wenigen Jahren war das Wort Counselling, Seelsorge im Sinne von psychosozialer Beratung nicht bekannt. Das hat sich in den letzten drei/vier Jahren geändert, vor allem, weil viele amerikanische Experten kurze Trainings anbieten, in denen Methoden und Strategien für spezielle Probleme gelernt werden u.a. zum Thema Trauma, HIV/AIDS, Gewalterfahrungen. Das Chaplaincy Seminar ist meines Wissens einer der wenigen Kurse, bei dem von Anfang an nicht nur Methoden trainiert wurden, sondern die Seelsorger selbst in den Vorgang von Selbsterkenntnis und Selbstveränderung einbezogen wurden, zu dem sie später Verzweifelte und Ratsuchende befähigen können.

In großer Offenheit und zum Erstaunen aller Teilnehmenden wurden persönliche und dienstliche Probleme und vor allem auch Gefühle angesprochen, von denen viele glaubten, dass sie gar nicht existieren oder nie zum Vorschein kommen dürften. Auch die Erfahrung, den Kollegen und Kolleginnen vertrauen zu können, war für viele völlig neu. Dabei war es wichtig, „confidentiality“, Vertraulichkeit, zu verstehen und auch einzuhalten. Denn Verschwiegenheit war in der bisherigen Seelsorgepraxis der Kirchen nicht üblich und daher auch nicht eingeübt.

In den ersten Jahren wurden die Grundlagen für eine partner-schaftliche Kommunikation in der Seelsorge gelegt: Es war wichtig einzuüben, dass Beratende und Ratsuchende in Augenhöhe miteinander kommunizieren. Die normale Praxis war und ist noch weitgehend, Rat zu geben und Lösungen anzubieten und dies am Ende mit einem Gebet abzuschließen, ohne vorher intensiv und offen auf die Probleme Hilfesuchender zu hören und sich zu bemühen, sie zu verstehen. Es hat den Teilnehmenden viel Mühe gemacht, aus der Rolle des „Pastors“ zu schlüpfen und sich selbst als eine Person wie alle anderen in den Prozess hineinzugeben. Dies hat Angst ausgelöst und zu der Erkenntnis geführt, dass ein Seelsorger ebenfalls einen Seelsorger – wir würden sagen, einen Supervisor bräuchte. Dies ist bis heute noch weit von der Realität entfernt, denn es gibt dafür in den Kirchen keine qualifizierten Personen. Allerdings wurden Teilnehmende mit der Methode der kollegialen Supervision bekannt gemacht, bei der an die Stelle eines einzelnen Beraters eine Gruppe in Erscheinung tritt.

Im Laufe der Jahre wurde immer öfter der Wunsch geäußert, ein brennendes, aktuelles Problem zum Hauptthema eines Seminars zu machen. Daraufhin wurde schwerpunktmäßig in jedem Seminar ein bestimmtes Problem behandelt, aber mit dem Ziel, dabei auch auf die eigene Haltung und den eigenen Umgang mit diesem Thema einzugehen und Hilfestellungen für die seelsorgerliche Praxis zu erhalten. Trauma, Gewalt in der Familie, Drogen, Alkohol waren z.B. Themen, die ein Seelsorger oder eine Seelsorgerin vielleicht von sich aus ansprechen konnte. In den letzten zwei Seminaren wagten wir uns an Tabuthemen: Sexuelle Gewalt und Vergewaltigung 2018 und 2019 Umgang mit psychisch Kranken.

Im Seminar 2018 stellte sich heraus, dass über Sexualität zumindest in den Kirchen überhaupt nicht gesprochen wird und Aufklärung nicht stattfindet. So gab das Seminar den Teilnehmenden Raum, sich mit ihrer eigenen Haltung und auch ihrem Privatleben auseinander zu setzen. Dies geschah in einer leicht zu verletzender Offenheit, die uns beeindruckte. Fachkräfte aus dem Land, eine Juristin und Frauenrechtlerin und ein Polizist, klärten auf, welche Möglichkeiten und welche Rechte die Betroffenen von sexueller Gewalt haben. Wie nach noch keinem anderen Seminar hatten wir bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern Hilflosigkeit, aber auch Befreiung von Zwang gespürt, und wir bedauerten sehr, dass wir daran nicht weiterarbeiten konnten.

Psychische Krankheiten, das Thema für 2019, werden in Myanmar weitgehend totgeschwiegen. Oft werden sie auch als Fluch oder Strafe der Geister verstanden. Medizinische und auch psychotherapeutische Hilfe ist für viele Menschen nicht vorhanden. Personen, die nicht in (unsere) Vorstellung von „normal“ passen, werden von den Familien versteckt, vegetieren mehr im Verborgenen, als dass sie leben können.

Fachleute aus Deutschland vermittelten ein Verständnis von psychischen Erkrankungen, bei der die soziale Umwelt miteinbezogen wird. Solche systemischen Betrachtungsweisen eröffnen Sichtweisen dafür, wie Betroffene trotz Beeinträchtigungen in die Familie und in die Gesellschaft reintegriert werden können und wie Gesunde ihre Angst vor psychischen Krankheiten überwinden lernen. Ein burmesischer Psychiater klärte über die therapeutischen Möglichkeiten auf.

Im Anschluss an das 10. Chaplaincy Seminar hatten wir eine zweitägige Konsultation geplant, um nach 10 Jahren Bilanz zu ziehen. Unser Ziel war es, Personen mit leitenden Aufgaben in der Kirche, zu motivieren, die Verantwortung für die Seelsorgeausbildung zu übernehmen und konzeptionelle Leitlinien zu erstellen, aber auch für die finanziellen Mittel zu sorgen. So sollten im Vorfeld alle für die Ausbildung Zuständigen – in den Kirchen und kirchlichen Ausbildungsstätten (Colleges und Bibelschulen) – eingeladen werden.

Wir wollten die Geschichte des Seminars und unsere bisherigen Erfahrungen darstellen, um einen Einblick in die theoretische und praktische Arbeitsweise der Seminare zu geben. Wir planten auch Zeit ein, um eine mögliche Struktur zu erarbeiten, wie die Seelsorge einen verbindlichen Platz in der theologischen Ausbildung finden kann.

Leider entsprach der Kreis der Teilnehmenden nicht dem angestrebten Umfang, vor allem was die Verantwortlichen für die theologische Ausbildung anbelangt. So konnte der Austausch mit eingeladenen Kirchenführern nicht wie geplant zustande kommen. Die wenigen, die gekommen waren, haben ihre Teilnahme eher als repräsentative Aufgabe verstanden. Das zeigte sich auch in ihrer nur zeitweisen Anwesenheit. Hingegen waren einige Vertreter und Vertreterinnen von Nicht-Regierungs-Organisationen anwesend, die mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind und nach Anregungen für ihre beraterische Arbeit suchen.

Dank der Tatsache, dass alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer des voran gegangenen Chaplaincy Seminars an der Konsultation teilnahmen, kam es in einer intensiven Phase von Gruppenarbeit zu sehr konstruktiven Ergebnissen – vor allem im Blick darauf, wie die seelsorgerliche Ausbildung künftig in die Struktur der theologischen Ausbildung der Kirchen integriert werden könnte. Die Arbeitsgruppen waren regional und konfessionsübergreifend eingeteilt und führten zu konkreten Vorschlägen. Am Ende der Konsultation wurde allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die mindestens viermal an einem Chaplaincy Seminar teilgenommen hatten, ein Zertifikat des Myanmar Institute of Theology überreicht.

Die künftige Aufgabe besteht darin, diese Konzeptansätze überzeugend den jeweiligen Kirchenleitungen und den betroffenen Ausbildungsstätten darzulegen und Wege der Umsetzung zu entwickeln. Wünschenswert wäre aus unserer Sicht, dass dieser Prozess fachlich begleitet wird. Dafür bietet sich das Seelsorgeinstitut des MIT an, das von Rev. Dr. Khin Kyu Kyu geleitet wird. In diesem Zusammenhang ist auch die künftige Struktur der Chaplaincy Seminare zu überdenken, da Ursula Heckers Mitarbeit dabei nicht mehr gegeben sein wird.

Karlsruhe, 13. September 2019

Ursula Hecker, Helga Gramlich

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