Bericht über die Reise von Ursula Hecker nach Myanmar vom 15. April bis 14. Mai 2018

Drei Seminare waren in der Zeit vom 15. April bis 14. Mai 2018 in Myanmar geplant: Zwei Wochen für die Weiterbildung in psycho-emotionaler Beratung von ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen im Counselling Center, Yangon und jeweils eine Woche mit Teilnehmenden aus den Dörfern unseres Projektes in Kalymyo und danach das sog. Chaplaincy Seminar, schon das neunte in Folge, für die Weiterbildung in kompetenter Beratung von theologischen Lehrern in Taunggy. Wieder machte ich die Erfahrung, dass die Probleme der Menschen in Myanmar nicht so verschieden sind von den unseren, wenn wir durchdringen durch die angelernten und anerzogenen Verhaltensweisen und uns nicht zufrieden geben mit den schnellen, kulturbedingten, Antworten. Eines wurde aber deutlich, dass die Menschen in Myanmar sehr viel weniger Möglichkeiten haben, ihre Probleme zu bearbeiten, – seien sie ökonomischen, politischen, sozialen, kulturellen oder psychischen Ursprungs. So bin ich überzeugt, dass die drei verschiedenen Seminare in den vier Wochen für die Teilnehmenden wenigstens ansatzweise eine Möglichkeit für Veränderung aufgezeigt haben.

Es begann im Counselling Center des YMCA mit dem dritten Zweiwochenkurs zur Ausbildung von ehrenamtlichen Mitarbeitenden in psycho-emotionaler Beratung. Diese Arbeit verlangt viel von den Teilnehmenden. Umso erstaunlicher war es wieder, mit welcher Offenheit und Ernsthaftigkeit sich alle beteiligten. Es wurde aber offensichtlich, dass die Sprachfähigkeit, Gefühle differenziert auszudrücken, nicht entwickelt ist. „Shame“ und „anger“ waren die meist gebrauchten Ausdrücke. Wir versuchten, etwas genauer hinter den Begriff shame zu kommen und merkten, dass sehr viel mehr dahintersteckt als beschämt, sich schämen, schamvoll. So war dieser Kurs wieder einmal ein Lernfeld für genaues Hinhören. Denn es ist durchaus nicht sicher, wenn wir die gleiche Sprache verwenden, dass wir auch das Gleiche meinen.

Die Tage hatten immer den gleichen Ablauf, beginnend mit Biographiearbeit, d. h. die Teilnehmenden berichteten von einem Ereignis in ihrem Leben, das sie besonders geprägt hat. Es hat uns erschüttert zu hören, welche Nöte die „Kultur“ verursacht, keine Gefühle zu zeigen. Wärme und Zärtlichkeit erfahren die Kinder offensichtlich nur, solange sie ganz klein sind. Es gibt wohl ein Sprichwort, „When you want to kiss your child, do it while it is sleeping“ (Wenn Du deinem Kind einen Kuss geben willst, tu es, während es schläft). Ansonsten wird mit Härte, Autorität und Befehlen erzogen.

Seminar Myanmar

 

Ein anderer wichtiger Punkt in unserem Seminarablauf war die Besprechung von Gesprächsprotokollen Auch da ist auffallend, wie wenig auf Gefühle eingegangen wird. Man will den Menschen helfen, etwas für sie tun, ein Programm entwickeln, aber berücksichtigt kaum, was sie bewegt.
Ich kann mich nicht damit zufrieden geben zu sagen: das sind die verschiedenen Kulturen. Was wir tun und erfahren, ist von unserem westlichen Blickwinkel geprägt. Ich glaube nicht, dass dies so stimmt. Natürlich ist die Haltung dem Leben gegenüber anders, die sozialen Erwartungen auch, die Lebensformen. Aber das Leiden, die Nöte, Sehnsüchte sind ähnlich – es ist nicht gleich offensichtlich, weil alles mit einem Lächeln überdeckt wird – auf das wir auch meistens mit unserem westlichen Verständnis als Zeichen von Freundlichkeit und Offenheit antworten und es nicht hinterfragen.

Das nächste Seminar war in Kalymyo. Wir hatten vor einem halben Jahr das Kleinkreditwesen Programm für Frauen von zwei Dörfern eingeführt. Jetzt sollte es erstens darum gehen, den bisherigen Verlauf dieses Programms zu kontrollieren und dafür eventuell ein weiteres Training zu geben. Es hat sich herausgestellt, dass das Programm gut läuft, die Frauen dabei allerdings öfters die Hilfe ihrer Männer in Anspruch nehmen. Ziel wird aber sein, dass die Frauen ihr Konto selbst verwalten können.
Ein zweiter Schwerpunkt des einwöchigen Seminars war, den Teilnehmenden, Frauen und Männern, den Zusammenhang von Alkohol- und Drogenmissbrauch mit häuslicher Gewalt bewusst zu machen. Dazu kam von Yangon eine Juristin, die über die rechtlichen Möglichkeiten für Frauen aufklärte.

Ms. Moo Paw beim Seminar in Kalymyo
Ms. Moo Paw beim Seminar in Kalymyo

Das alles war in Burmesisch und natürlich habe ich nichts verstanden, mir blieb nur, die Gesichter zu beobachten. Es war gar nicht so schwierig, den roten Faden der Diskussion mitzubekommen. Vor allem für die Männer schien es ein neuer Gedanke zu sein, dass häusliche Gewalt nicht wie selbstverständlich zum Leben gehört, dass Alkohol – und Drogenmissbrauch ein Hauptgrund für die Armut der Familien ist. Im Laufe des Gesprächs stellte sich heraus, dass im Dorf Dimzaang die Hälfte der Männer täglich 1000.- Kyat für Alkohol aufwendet (ungefähr 80cent) Das ist sehr viel für eine Gesellschaft, die vor allem von Subsistenzwirtschaft lebt. Eigenartig ist, dass in manchen der fünf Dörfer des Projekts Alkohol und Drogen fast gar keine Rolle spielen.

Kalymyo

Der dritte Teil des Seminars drehte sich dann um Maßnahmen für „income generating“ (Einkommen schaffende Maßnahmen). Da wurden alle aktiv. Auch die Männer mussten Bananen in Scheiben schneiden, um Banana Chips zu rösten, unreife Papaya schälen, um einen köstlichen Salat herzustellen und Pickles. Sie hörten, wie man einen Fischteich anlegt und verschiedene Tiere hält – Hühner und Schweine vor allem.

Mr. Pau, der Direktor des lokalen Zweigs der Myanmar Initiative, hatte auch noch zwei Politiker der Chin Regierung eingeladen, die die Teilnehmenden über ihre Rechte und Möglichkeiten aufklärten.
In den Pausen und am Abend traf ich dann noch mit den beiden Schwesternhelferinnen zusammen, die seit Ende März in den beiden Dörfern Kim Lai und Muang Lang ihre Arbeit aufgenommen haben. Eingeführt und unterstützt werden sie von der pensionierten Schwester, die jahrelang vorher in der Samaritan Clinic in Dimzaang im Auftrag der Myanmar Initiative gearbeitet hat. Vor allem sollen die beiden jungen Frauen noch in Gesundheitserziehung, Hygiene und gesunde Ernährung weitergebildet werden. Sie haben im Durchschnitt 10 Patienten/innen am Tag, mittwochs findet Schwangeren Beratung statt, donnerstags und freitags machen sie Hausbesuche. Wir haben jetzt ausgemacht, dass die pensionierte Schwester noch bei ihnen bleibt, bis die Klinik im November eingeweiht wird und wir eine staff nurse (voll ausgebildete Krankenschwester) gefunden haben, die dann mit den Beiden zusammen in der Gesundheitsstation arbeitet. Das kostet zwar 1500.- Euro zusätzlich, aber ich bin der Meinung, dass die medizinische Arbeit von Anfang an gut eingeführt werden muss und die beiden Frauen gute fachliche Grundkenntnisse haben sollten.

Das Chaplaincy Seminar in Taunggy folgte unmittelbar auf das Seminar in Kalymyo. Schon zum neunten Mal fanden sich Dozentinnen und Dozenten von theologischen Colleges aus ganz Myanmar in der zweiten Woche im Mai zusammen, um etwas über neuere Formen von Beratung und Seelsorge zu lernen. Das Thema, das wir für dieses Jahr gewählt hatten, ist so mit einem Tabu besetzt, dass ich befürchtete, wir könnten die Teilnehmenden kaum zum Mitmachen bewegen. „Rape and sexual abuse – a challenge for pastoral care and counselling?“ – „Vergewaltigung und sexueller Missbrauch – eine Herausforderung für Seelsorge.“

Wir befürchteten, es würde dieses Mal eine kleine Gruppe und die Männer vor allem würden nicht in großer Zahl teilnehmen. Aber das Gegenteil war der Fall. Es waren über 40 Teilnehmende und die meisten Männer, vor allem auch gestandene, ältere. Durch die Größe der Gruppe mussten wir die in unseren Seminaren gewohnte Arbeitsform etwas verändern. Aber es war sowieso klar, dass wir bei diesem Thema mehr Information geben müssten als in den vorhergehenden mit Übungen und Selbstreflexion. Dr. Maung Maung Yin, Sozialethiker vom Myanmar Institute of Theology (MIT), machte die Einführung, um die Konferenz für das Thema zu öffnen. Er hat das gut gemacht und alle Themen angesprochen, die wir im Laufe des Seminars vertieft haben. Wir hatten eine Juristin eingeladen, die die rechtliche Seite beleuchtete und einen Polizisten, der Auskunft gab, was die Polizei tun kann. Entgegen aller Erwartungen – vor allem der burmesischen Teilnehmenden – war er sehr offen und gesprächsbereit.
Rev. Tun Tun Aye, Dozent am Myanmar Institute of Christian Theology (MICT) und langjähriger Mitarbeiter beim Chaplaincy Seminar, hat das Thema von der biblischen Perspektive beleuchtet. Johanna Thie, die im Diakonischen Werk Deutschland für Gewalt gegen Frauen, sexualisierte Gewalt und Vergewaltigung Advocacy- und Aufklärungsarbeit macht, hat dann behutsam mit offenen Methoden an das Thema herangeführt – angefangen mit dem Unterschied von gender und sex (sex: biologische Unterscheidung, gender: bestimmt Rolle, Verantwortlichkeiten, Privilegien, Begrenzungen etc.) mit dem Betonen von Gewalt als Machtausübung und den Möglichkeiten für Hilfen und Beratung.
Kernstück des Tages waren dann die Fallbesprechungsgruppen und für mich erstaunlich, wurden fast immer Fälle von Vergewaltigung und sexualisierter Gewalt vorgetragen – mit Tätern, auch von buddhistischen Mönchen und christlichen Pfarrern. Und immer war offensichtlich, dass die kirchlichen Mitarbeitenden diesen Problemen hilflos gegenüberstehen und meistens mit den traditionellen Formen antworten, was oft das Problem verstärkt und zumindest die Betroffenen ohne Unterstützung zurücklässt. Was Frau Thie – und auch mich – erstaunte, war die Offenheit, mit der alle an der Diskussion teilgenommen haben. Frau Thie meinte, das wäre selbst in Deutschland schwieriger.

Das Team des Chaplaincy Seminars 2018
Das Team des Chaplaincy Seminars 2018

Meine Aufgabe war vor allem, das Ganze in den Myanmar Kontext und in das Umfeld von Kirche und der Aufgabe von Pastoral Care and Counselling umzusetzen. Für mich war eines der schönsten Ergebnisse dieses Seminars, dass einige der älteren Dozenten und Pfarrer gesagt haben, sie wollten ihr Verhalten in ihrer eigenen Familie überdenken und da anfangen, etwas zu verändern.

Am Ende war offensichtlich, dass das Seminar genau das ansprach, was für die Teilnehmenden ein ganz akutes Problem ist, das natürlich mit dem einen Seminar nicht gelöst ist. Vielleicht können wir Möglichkeiten finden, wie man mit dem Thema in einem weiteren Kreis – zumindest in den Kirchen – arbeiten könnte.
Nächstes Jahr findet das 10. Chaplaincy Seminar statt und Rev. Dr. Khin Kyu Kyu, die Initiatorin dieser Seminare, will es gebührend feiern. Wir haben auch schon ein Thema, das genauso wichtig zu sein scheint wie das diesjährige: Der Umgang mit psychisch Kranken in der Familie und Gesellschaft.

Was ist weiter passiert im integrierten Dorfentwicklungsprojekt:

Der größte Teil der Zeit war mit dem oben beschriebenen Seminar ausgefüllt, so dass ich diesmal nicht die Dörfer besuchte – außerdem regnete es jeden Tag und die Wege waren kaum mehr passierbar. Nach wie vor setzt sich Mr. Pau sehr für die Arbeit der Myanmar Initiative ein und entwickelt auch selbst neue Ideen. In Zukunft werden wir die Schwerpunkte weiterhin auf Bewusstseinsbildung und Ausbildung legen. Dazu brauchen wir aber wieder Ihre Hilfe.

Besprechung mit Dr. San San Oo (li.)
Besprechung mit Dr. San San Oo (li.)

Im Januar hatten wir eine Psychiaterin kennengelernt, die in ihrem Haus eine Tagesklinik für psychisch Kranke unterhält, die einzige dieser Art in ganz Myanmar. Im März war sie in den Dörfern unseres Projektes und hat über psychische Erkrankungen aufgeklärt, Hausbesuche gemacht und den einen und anderen auch behandelt und zu weitergehenden Therapie geraten. Mr. Pau berichtete mir, dass die Dorfbewohner davon sehr beeindruckt waren. So wollen wir Dr. San San Oo bitten, zu einem weiteren Seminar Ende Juni in die Dörfer zu kommen.

Auch das Seminar über Micro Finance System, Alcohol Awareness Training und Income Generation wird eine Fortsetzung benötigen, um eine Nachhaltigkeit zu gewährleisten. Inzwischen sind auch die Bürgermeister der verschiedenen Dörfer darin miteinbezogen und versuchen, das Gelernte in ihren Gemeinden umzusetzen.

Das Webzentrum in Muang Lang funktioniert gut, auch der Verkauf der Waren ist möglich. Allerdings berichtete mir Mr. Pau, um bessere Qualität und kompliziertere Muster herstellen zu können, bräuchten die Weberinnen noch einmal Anleitung und Schulung. So könnten sie mit ihrer Arbeit auch ein besseres Einkommen erzielen.

Das Arbeitsbuch für die Abendschule ist fertig, es muss jetzt nur noch gedruckt werden. Wir haben auch eine Möglichkeit gefunden, dass die Lehrer/innen für den Unterricht in einer Abendschule für Erwachsene ausgebildet werden können und wie der Unterricht am besten und effektivsten organisiert werden kann.

Um die Arbeit der beiden Schwesternhelferinnen brauchen wir uns keine Gedanken zu machen. Die beiden Dörfer sind glücklich, endlich eine medizinische Versorgung zu haben und unterstützen die Arbeit. Durch die Mitarbeit der alten Schwester werden auch die jungen Frauen in ihren Fachkenntnissen sicherer und selbstsicherer.

Die Thomasklinik ist im Bau und sie wird in den nächsten Monaten den größten Teil von Mr. Pau’s Aufmerksamkeit benötigen – und wahrscheinlich einen großen Teil unserer finanziellen Mittel. Ich hoffe, wir finden in den nächsten Wochen eine Möglichkeit zu einer teilweisen Fremdfinanzierung.

Das Seminar jetzt in Kalymyo bringt natürlich auch finanzielle Implikationen mit sich: Nachdem die Bewohner eines Dorfs Tiere erhalten haben, um ihre finanzielle Lage zu verbessern, wollen auch die anderen Dörfer solche einkommensschaffenden Maßnahmen versuchen. Auch die Idee eines Fischteichs griff ein Dorf auf und bittet uns um Unterstützung.

In all den vergangenen Jahren, wenn ich aus Myanmar zurückkam und einen Packen von neuen Ideen, Erwartungen, Bitten im Gepäck hatte, wurde mir angst, wie das alles zu schaffen wäre. Aber bis jetzt war vieles, fast alles möglich – dank Ihrer Hilfe und Verlässlichkeit. Dafür danke ich Ihnen im Namen der Myanmar Initiative sehr herzlich. In den nächsten Monaten kommen wieder finanzielle Verpflichtungen auf uns zu und so hoffe ich weiterhin auf Ihre Unterstützung.

Berlin, den 21.Mai 2018
Ursula Hecker, Vorsitzende der Myanmar Initiative e.V.

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