Bericht über die Zeit am Myanmar Institute of Theology (MIT) in Yangon zwischen 13.1. und 12.3.2017 von Dieter Hecker

Rückblick:

Unsere Verbindungen zu Myanmar begannen vor 10 Jahren. Am Ende unserer 5-jährigen Dozenten-Tätigkeit am Gossner Theologischen College in Ranchi von 2002 – 2007 nutzten meine Frau und ich die Gelegenheit der relativ kurzen Entfernung zu einem Besuch von etwas mehr als einer Woche mitten im Hochsommer in Myanmar. Wir schafften es in den Tagen nicht, Kontakte zu Kirchen oder theologischen Ausbildungsstätten zu knüpfen schon aus politischer Unsicherheit zur Zeit der Militärregierung.  Aber das „Goldene Land“ mit seiner alten buddhistischen Kultur und seinen freundlichen Menschen hat uns fasziniert und beeindruckt.

Als Ursula ein Jahr später noch einmal mit einer Freundin nach Myanmar reiste, konnte sie dann einen Kontakt zur Myanmar Baptist Convention knüpfen und wurde für die theologischen Ausbildungsstätten an das Myanmar Institute of Theology (MIT) verwiesen. Bei einem ersten Kontaktgespräch mit dem Principal Dr. Simon En kam das Gespräch darauf, dass sie 20 Jahre Klinikseelsorgerin war und auch in Ranchi Pastoral Care and Counselling unterrichtet hatte. Das stieß auf lebhaftes Interesse und ein Gespräch mit der Verantwortlichen College Chaplain, Khin Kyu Kyu, wurde hergestellt ergab dann eine dauerhafte Zusammenarbeit von Ursula in Fragen von Seelsorge und Counselling zunächst mit dem MIT. Später kamen dann anglikanischen Frauengruppen und verschiedene anderen Gruppen dazu, denn das Interesse an modernen Methoden der Beratung ist enorm in dem Land, das über 40 Jahre durch die Militärregierung von der Außenwelt abgeschlossen war.

Im Jahr 2010, dem einhundertjährigen Jubiläum der Weltmissionskonferenz in Edinburgh, erfolgte eine Einladung an Dieter für eine mehrwöchige Gastvorlesung über dieses bahnbrechende Ereignis im Rahmen der Ökumene Vorlesung von Dr. Simon En. Als dieser bald darauf in Ruhestand ging, wurde Dieter gebeten, für einige Jahre dieses Thema in einem Intensivkurs zu unterrichten, bis ein geeigneter Nachfolger gefunden war.

Aus diesen Kontakten ergaben sich weitere in Myanmar zum Nationalen Kirchenrat (MCC)und der Dachorganisation der zahlreichen Theologischen Ausbildungsstätten (Association for Theological Education in Myanmar – ATEM) und ihrem Leiter Dr. Lal Tin Hre. Gleichzeitig mit den Tätigkeiten von uns beiden in Myanmar versuchten wir, Kontakte zwischen Myanmar und Deutschland durch Besuche zu fördern und wurden so zu einer Anlaufstelle für eine Reihe von Besuchern aus Myanmar, denen wir beim Kennenlernen deutscher kirchlicher und entwicklungspolitischer Organisationen behilflich waren.  Das ließ sich auf die Dauer nicht mehr auf privater Ebene abwickeln, sodass wir im Jahr 2012 einen Verein, die Myanmar Initiative e.V. gründeten, um diese Verbindungen auf eine offizielle und verbindlichere Ebene zu stellen.

So hat sich ein reger Austausch zwischen Myanmar und Deutschland entwickelt mit gegenseitigen Besuchen. Das Wichtigste waren, die seit sieben Jahren regelmäßigen Chaplaincy Seminare, die von Ursula zusammen mit Dr. Khin Kyu Kyu organisiert wurden. So entstand innerhalb von diesem Netz, das noch durch ein Dorfentwicklungsprojekt im Chin Staat ergänzt wurde, ein lebendiger Austausch.

Die Zeit von Januar bis März 2017 – am MIT und sonstigen Stellen

In diesem Rahmen ist das Programm Anfang 2017 zu sehen. Wir waren mit einer Gemeinde-gruppe aus Neuruppin für zwei Wochen In Myanmar unterwegs. Die Zeit war vom Semesterrhythmus her günstig, darum habe ich dem Präsidenten des MIT, Dr. Samuel Ngun Ling, angeboten, einige Wochen am MIT mitzuarbeiten.

Der Grundstock war wiederum eine Mitarbeit in der regulären Vorlesung über die Geschichte der Ökumenischen Bewegung zusammen mit meinem früheren jungen Kollegen, Mr. Van Hmung von der Mara Evangelical Church. Da es wenige Bücher in der Bibliothek zu dem Thema gibt, erwarten die Studierenden immer „Handouts“, d.h. sie wollen praktisch den gesamten Text der Vorlesung zu jeder Sitzung fotokopiert in die Hand haben.

Daneben bot ich ein Paper über das „Jubiläum 500 Jahre Reformation weltweit“ an. – Das stieß bei der überwiegend baptistisch geprägten Institution auf nicht so begeistertes Interesse. Das 90-jährige Jubiläum des MIT schien ihnen da wichtiger! – Immerhin, es gab eine für alle offene Veranstaltung, die dann doch auf intensives Interesse stieß.

Von der Abteilung für politische Ethik von Dr. Maung Maung Yin erhielt ich die Anfrage: „Wie gehen die Deutschen heute mit der Frage des Holocaust um?“ – Gerade da war ein sehr lebhaftes Interesse nach einer Behandlung des Themas auf der Grundlage von Literatur, das Gespräch mit einem Betroffenen zu führen. Insgesamt scheint gerade aus der eigenen Erfahrung der Militär Diktatur Dieterich Bonhoeffer als der bekannteste und Dr. Maung  Maung Yin im Holocaust Denkmal in Berlin  interessanteste europäische Theologe zu gelten.

Das MIT hat neben der Theologischen Abteilung mit ca. 500 Studierenden noch ein Liberal Arts Department, also das was normalerweise als Arts College mit säkularen Themen läuft. Schon zur Zeit der Militärdiktatur von 1962 – 2010 als den Kirchen Betätigung auf dem Gebiet der allgemein bildenden Schulen verboten war, hat man am MIT einen allgemeinen Studiengang geschaffen, aber mit religiösem Namen und teilweise auch Inhalt: Bachelor of Arts in Religious Science (BARS). Dort sind noch einmal etwa 700 Studierende eingetragen. Inzwischen gibt es den Plan, das MIT zur ersten Christian University in Myanmar weiter zu entwickeln.

Myanmar ist fast das einzige Land in der südlichen Hemisphäre, in der es keine „Fairen-Handels-Beziehungen“ gibt. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass es bisher keine zivilgesellschaftlichen Strukturen wie in anderen Ländern gibt, die solche Beziehungen außerhalb des kommerziellen Handels möglich machen würden. Ich habe daher dort eine Veranstaltung über die „Faire Handels-Bewegung“ angeboten.

Wie vermutet waren der Begriff und die Sache keinem bekannt, auch den Dozenten nicht. Von der World Fair Trade Organization (WFTO), dem internationalen Dachverband der Weltläden, hatte noch nie jemand etwas gehört. Der größte Hörsaal, die Kapelle war voll besetzt, obwohl es außerhalb der Unterrichtszeit angesetzt war. Das Interesse war groß. Da die Studierenden Diskussionen nicht gewöhnt sind, ergab sich nur ein Gespräch mit den anwesenden Dozenten. – Es bleibt aber zu hoffen, dass die „Handouts“ gelesen und weiter gereicht werden. Meine Hoffnung, dass sich vielleicht aus der Hörerschaft eine Gruppe bilden könnte, die das Modell einmal praktisch weiterverfolgen würde, hat sich nicht erfüllt. Dazu wäre mehr und intensivere Arbeit nötig. Aber Modelle dafür gibt es bei BARS.

Die Atmosphäre am MIT 

Ich habe dieses Jahr zum ersten Mal in einem Gastdozentenzimmer des MIT gewohnt und dadurch das Leben am College viel mehr mitbekommen. Bis 2010 war es strikt verboten, dass Ausländer entweder privat oder in Einrichtungen übernachten konnten. Sie waren gezwungen in Hotels zu wohnen, um sie besser kontrollieren zu können. Jetzt sind zwei bis drei Wohnungen da, die auch regelmäßig von Gastdozierenden genutzt werden. Die ökumenischen Kontakte sind erstaunlich vielfältig.

Von montags bis freitags findet immer zwischen 10.00 und 11.00 Uhr die tägliche Andacht in der Kapelle statt. Das ist der Treffpunkt von Studenten und Dozenten und auch eine unschätzbare ökumenische Erfahrung. Jede Woche sind mindestens zwei bis drei Gäste da, die die Andachten mitgestalten; oft sind es Besuchergruppen, Chöre oder Aktionsgruppen, die den Duft der großen weiten Welt in das College bringen. Hier werden auch die Angelegenheiten des Colleges bekannt gegeben und aufgenommen.

Ergänzt wird das immer noch durch eine Unzahl von Seminaren und Sonderveranstaltungen an den Nachmittagen, so z. B. eine dreitägige Dialog-Veranstaltung mit Dozenten der Universität Münster und buddhistischen Mönchen, oder ein zweitägiges Seminar über kontextuelle Theologie. Selbst bei meinem doch relativ wenig überladenen Studienplan war es nicht möglich, alle Angebote, die ich gerne mitgemacht hätte, zu besuchen.  Prof. Schmidt-Leukel und buddhistische Mönche aus Myanmar.

Zum Stundenplan ist zu bemerken, dass dieser doch sehr verschieden ist von einem normalen deutschen Studiengang. Die klassischen Disziplinen (Altes und Neues Testament, Dogmatik, Kirchengeschichte) spielen keine so große Rolle. Man merkt viel stärker, wie das nichtchristliche Umfeld die Studien bestimmt. Missiologie, Dialog mit anderen Religionen, Social Analysis und kontextuelle Theologie stehen viel mehr im Mittelpunkt, weil es eben die bestimmenden Faktoren des Lebens sind. Dabei ist natürlich zu bedenken, dass die Rolle des MIT eine besondere ist. Es ist das einzige College mit international anerkanntem Standard. Wer als Dozent an anderen Theologischen Colleges mit einem Master of Theology unterrichten oder im Ausland weiter studieren oder promovieren will, kommt um das MIT in Myanmar nicht herum. Dieser Standard bedeutet natürlich auch, dass viele der lokalen Gemeinden Vorbehalte gegenüber der „liberalen“ Ausbildung des MIT haben.

Wir werden manchmal gefragt, ob es in Myanmar überhaupt theologische Ausbildungsstätten gibt. Die Antwort darauf kann nur lauten: Viel zu viele! Bei 6% Christen im Land (ca. 3,6 Millionen) ist die Mehrzahl (ca. 60- 70 %) Baptisten, aber es gibt auch Katholiken, Anglikaner. Die Methodisten und Presbyterianer sind in bestimmten Regionen konzentriert. Und die charismatischen Kirchen sind schwer zu erfassen. Sie nehmen aber an Einfluss zu und haben auch viele Anhänger in den traditionellen Gemeinden. Da die Kirchen vor allem unter den Ethnien verbreitet sind und weniger unter den burmesisch sprechenden, buddhistischen Mainstream Bevölkerung, haben sie auch entsprechend viele verschiedene theologische Ausbildungsstätten, je nach Denomination und Sprache. In Yangon gibt es vermutlich fast ein Dutzend Theologische Colleges. Es gibt weitere Schwerpunkte in Mandalay und Kalaymyo, im Kayin Staat und im Kachin Staat.

In Südostasien ist schon eine andere Kultur als bei uns. Wir sind immer wieder beschämt, wie sehr wir bei den beschiedenen Mitteln unserer Partner doch immer wieder beschenkt werden, was bei uns schon als problematisch angesehen würde und für Pfarrer oder Beamte verboten wäre. Das gehört aber in Myanmar einfach dazu; ebenso wie die vielen Einladungen zu Essen, teils privat, teil im Namen der Einrichtungen, bei denen man tätig wird. – Auch sonst wird der Alltag immer wieder durch besondere Ereignisse und Feiern unterbrochen. Darum ist die Zahl der Feiertage in Myanmar auch viel größer als bei uns.

Dieses Jahr haben wir zum ersten Mal den Abschluss des Akademischen Jahres voll mit erlebt. Da gab es verschiedene Abschiedsveranstaltungen, u.a. den Bacchalaureate Service, ein besonderer Gottesdienst für die Absolventen des letzten Studienjahres und ihre Angehörigen, wo alle in ihren Talaren (Gowns) in den vorderen Reihen sitzen und die mir zugedachte Message eine besondere Ehre darstellte. Danach kam eine zweite Veranstaltung im engeren Rahmen für die Studierenden, und schließlich die große Convocation zum Abschluss in einer Halle mit mehr als 2000 Besuchern und drei Stunden Dauer. Dort zogen alle Dozenten und Absolventen in ihren verschieden farbenen Talaren ein, je nach dem College, wo sie ihren Abschluss gemacht hatten.

Bei diesem Anlass bekamen auch wir beide mit acht anderen den Titel eines Doctor of Divinity (DD) honoris causae verliehen und wurden feierlich mit Talar und Doktorhut bekleidet. Diese besondere Ehrung wird nur in größeren Abständen von 5 – 10 Jahren vorgenommen. – Wir hatten nicht damit gerechnet, freuen uns aber über das Zeichen, dass unsere Zusammenarbeit in dieser Weise geschätzt und anerkannt wird. Das schließt auch diejenigen mit ein, die uns bei dieser Arbeit unterstützt haben.

Wie wird es weitergehen? – Wir werden nach wie vor versuchen, die Kontakte zu halten und den Austausch miteinander in beiden Richtungen pflegen, denn wir meinen, dass die Menschen in Myanmar nach der langen Militärdiktatur und dem langsamen und mühsamen Weg zu einer Zivilgesellschaft unsere Begleitung suchen und brauchen. Sie brauchen vor allem auch Orientierung bei den plötzlich über sie hereingebrochenen Veränderungen einer globalisierten Weltkultur, wo ihre alten Verhaltensmuster nicht mehr ausreichen. Wir werden auch wieder Gäste beim Kirchentag haben, und eine Reihe von Besucherinnen und Besuchern werden bei ihren Europa-Reisen auch wieder in Berlin Station machen. Wir freuen uns darüber, dass es auch bei uns Menschen gibt, die diese Begegnungen als Bereicherung empfinden und sich dafür engagieren.

Berlin, im März 2017

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